Samstag, 25. Dezember 2021

Kartoffelsalat aus dem Bauchnabel

 

Weihnachten ist das Fest der Hiebe. Für die regionale Rangliste, die Faust aufs Auge passend am bärtigen Nachbarn. Moralesken werden auch wieder gegenüber Zöglingen ausgepackt. Das ganze Jahr lässt man sie freigeistlich tun und lassen, wie ihr Geschick, nur einmal im Jahr müssen sie stillhalten. Sie müssen lieben, verbinden, abhängig und solidarisch sein und gesund aussehen, trotz dem kleinen o, dem Minuskel der Zeit.

 

Weihnachten ist das Fest, wo die nervigen Nadelbaumverkäufer wieder abziehen müssen mit ihren roten Kampfsport–Daunenjacken. Sie stehen nicht mehr im Weg rum und bedienen keine empörbaren KundInnen mehr in Kunstpelzen, welche man mit Fleiß anrempeln musste. Es war nie böse gemeint, sondern einfach nur ein Bodycheck der notwendig war. Die meisten Bodys haben den Check nicht bestanden.

 

Es gibt reichhaltiges Essen ohne wirkliche Tradition. Aber man spricht über etliche Familiengelage und kann sich dabei ganz genau schlecht erinnern. Weihnachten ist das Fest, an dem man nur sich selbst alles verzeiht. Die falsche Fonduekäsesorte ist da noch die geringste Verfehlung. Zum Jul tragen die seriösesten Menschen Mützen mit der Absicht so lächerlich zu wirken, wie die einstige Marketingidee. Cola-Blubber im Bauch, eine Flasche Rotwein drüber. Kartoffelsalat aus dem Bauchnabel schlürfen. Es ist Liebe.

 

Den Pflegekräften, Ärzten, arbeitenden Menschen dieser Tage dankt man noch einmal besonders, was eine gute egomanische Idee ist, damit man bei den nächsten Tarifverhandlungen daran erinnern kann, wenn man wieder einmal mit den Schultern zuckt. Scholz, Steinmeier, Schweizer Käse, alles dieser Tage in diesen Zeiten (wie man seit März 2020 so sagt) sehr präsent, wenn es um das Verteilen lustiger Botschaften geht.

 

Frohes Fest, alles Gute. Der weiche Keks im Heißgetränk beim Kaffeetrinken mit den Lieben und auch anderen sei mit euch. Man lernt zu gönnen.

 

25. Dezember 2021





Donnerstag, 2. Dezember 2021

Im Büro von Covid 19

Im Büro vor Covid 19

 

Man kann schon sagen, ich war ein recht unbedeutender Mitarbeiter mit recht viel Verantwortung und einem unanständigen Gehalt in einem Unzurechnungs-Unternehmen. Ich war z.B. für die regelmäßige Ölung und Wartung der Erdachse zuständig, was nie richtig funktionierte, aber auch in Wirklichkeit kaum einen interessierte, schon gar nicht meine Vorgesetzten. Ich war ein Einzelfall mit Zweifeln, der nie live mitbekam, was wirklich lief. Kaum war ich im Büro-Flur unterwegs, schlossen sich alle Türen und die Schilder „Bitte nicht zerstören“ wurden rausgehängt. Ich hatte den Eindruck gewissermaßen allenfalls eine Medium–Beliebtheit zu genießen. Warum wusste ich nicht, ich hatte Niemandem etwas getan – was aber auch schon ein guter Grund sein konnte, bei genauerer Reflexion von Firmensoziologien.

 

Lief einem eine äußerst angezogene Mitarbeiterin mit zerzausten Haaren und links verdrehter Bluse entgegen, bekam man einen bösen Blick in die Gesichtsmatratze gepfeffert. Ich sollte auf jeden Fall den Eindruck bekommen, dass sie sich extra so lebendig daheim gestylt hätte um ausgesprochen modern und fortschrittlich und dazu unkonventionell zu wirken. Die gleiche Person am nächsten Tag im Strickpulli? Logisch! 

 

Auch bildete ich mir sicher nur ein, dass Schaumgummilippen aufeinander schmatzten und durch die Türritzen Ausdünstungen von Menschen kamen, die nicht still am Schreibtisch saßen, um zu arbeiten. Ich war überzeugt davon, dass es besonders hinter meinem nicht gestärkten Rücken Frühstückspartys gab, bei denen alkoholfreier Sekt konsumiert wurde und sich Menschen und ProkuristInnen in Croissantkrümeln wälzten. Mal sah ich, wie hinter einer versehentlich offenen Tür Anzugjacken flugs über Fleisch-Blitzer geworfen wurden und irgendein riesiges sächliches Stück befreiter Körper vor mir floh und ein herausschießender Sektkorken mich knapp verfehlte, jedoch eine ebenso Orgien-Fremde Kollegin so traf, dass ihre Brille zerstört wurde. Sie und ich ignorierten den Vorfall aus irgendwelchen Gründen der Vernunft.

 

Dann kam Covid 19.

 

Nun ist das alles jetzt schon so lange her, dass meine Erinnerungen evtl. nicht die Präzisesten sind.

 

2. Dezember 2021

Mittwoch, 29. September 2021

Der Boss

Der Boss

 

Alle im Raum wünschen sich, dass er seinen Oberkörper frei macht und über alle herfällt. Einfühlsam, stark, herrisch, wirksam. Er ist der Einzige in diesem Zimmer, der sich nicht hinter Cocktailsaucen versteckt. Die Frauen wollen mit ihm tanzen. Die Männer wollen zu ihm aufschauen. Da es keine Lösungen gibt; jedenfalls sind keine bekannt, erwartet Jede und Jeder, dass er diese Erkenntnis in sich versteckt trägt. Tief im Kern. Nur er und kein anderer, keine andere. Man müsste ihn wie eine Nuss knacken. Aus seiner Schale würde man Möbel und Häuser bauen und seinen Kern würde man digitalisieren. Die Erkenntnis sollte alle glücklich machen. Die Folge: Reichtum für alle. Sonnige Urlaube, emissionsfreie Flugzeuge, Trinkhallen ohne BürgerInnen mit Schnellficker-Beinkleid. Baubiologisch korrekt ausgerichtete Vereinsheime. Bratwurst aus Duroc und vegane Wurst aus Knallerbsen. Sandstrände aus Pulverschnee. Sandsteingebirge süß wie Zückerhüte. Überall Menschen mit Auszeichnungen und Orden, die den 1,5 Grad Plan geschafft haben.

 

Deswegen geschieht dieses furchtbare Verbrechen. Nicht weil die Menschen schlecht sind, sondern einsam und verzweifelt und verwirrt. Es passiert in einem kleinen Nebenraum auf einer intimen Betriebsfeier eines mittelständischen Betriebes. Der Herrscher dieses Kleinods, der auf Grund seiner autoritären und absolutistischen Art so geliebt wird, zieht sein Hemd eben nicht aus zum Liebesgang mit seinen paar Nächsten in diesem Raum. Alle hier wissen, diese Menschheit ist am Ende. So kann es nicht weiter gehen. Irgendeiner nimmt das Tranchiermesser, welches neben dem Burgunderbraten liegt und jagt es dem Boss in den Hals. Eine druckvolle Blut-Fontaine beschmutzt die Kleider der Damen und die Brillen und Hemden der Herren. Verzweifelt suchen nun alle Anwesenden nach der entscheidenden Information und brechen den soeben Erledigten auf. Man findet aber nur das Übliche, was man so in einem toten Körper halt findet. Vielleicht etwas mehr Adrenalin und Testosteron, welches diesem Mann eigen war.

 

Dummer Weise haben die Menschen Liebe mit Hass verwechselt. Und die vorgeschriebenen Gs hat auch keiner eingehalten. Kein Mindestabstand, keine Masken, kein Respekt, keine Liebe. Nur der unbedingte Wille eines jeden dieser Menschen, sich selbst zu retten und dafür das Menschenopfer des Despoten in Kauf zu nehmen. Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Die Idee jenen auszuschalten, der wohl am meisten Schuld von allen trägt, dass es soviel Leid gibt, ist im Prinzip nicht die Schlechteste. Die Geschichte ist voll von Beispielen. „Auch Du mein Sohn …“ doch im Anschluss kommt es immer wieder zu der Erkenntnis, dass die Hoffnung auf das Paradies nicht mit roher Gewalt zu erfüllen ist. Blinde werden nicht sehen können, wenn man den Boss tötet. Die früher als Lahme Bezeichneten werden nicht gehen können, wenn man sich am Blutrausch beteiligt und betrinkt.

 

In einem kleinen Raum geschieht das schreckliche Alltägliche in den Köpfen der Menschen und es ändert sich nicht viel. Letzteres kann man aus einer nachvollziehbaren Perspektive aber auch als tröstlich betrachten.

 

29. September 2021

Mittwoch, 12. Mai 2021

Die Bilder des Vaters

Mein Vater war zeitlebens Künstler: Maler, Zeichner, Grafiker, er war überzeugter Abbilder von Ästhetik – nein mehr, er war ein Erschaffer von Schönheit, aber auch ein Beobachter von Echtheit. Über sein Talent, seine Fertigkeitskompetenz, seine visuellen Fähigkeiten gab es nie Zweifel.

 

Auch als Fotograf hat er gut und solide, zuweilen sehr gekonnt gearbeitet. Er hat die Technik seiner Geräte verstanden und beherrscht. Ich habe das immer gewusst, allerdings als junger Mann musste ich für mich einen Weg für meine Emanzipation finden. Ich musste sehr andere Bilder machen, als er. Lyrisches Auge und available light und das sozusagen ungewollte Eggleston – artige erkunden der eigenen Lebensräume, lagen mir nahe, so wie das Erfinden von Geschichten. Da mein Vater Künstler war, gab es sozusagen existenzielle Streitpunkte der Kunst. Josef Beuys hat meinen Vater verärgert. Ich habe Beuys verehrt und am heutigen 100sten Geburtstag von Josef Beuys hätte mein Vater wohl zweifellos mit mir über ihn streiten wollen – vernichtende Aussagen von meinem Vater um Beuys als Künstler ad absurdum führen zu wollen.

 

Ich habe meinem Vater oft vorgeworfen, dass er über die Poesie hinaus nie gewachsen sei und sich in der Kunstszene einen Ruf als dekorativ arbeitender Zeichner und Grafiker gemacht hat. Das hat er bestätigt und mir mit dieser Bestätigung wiederum den Wind aus den Segeln genommen.

 

Nach dem nun seine zeichnende feine Hand für immer seine Tätigkeit eingestellt hat und mein Vater dazu auch nichts mehr sagen kann, bemerke ich immer mehr Ähnlichkeit beim Betrachten seiner Bilder und meiner Fotografie. Ebenen, Wege, grafische Verteilung der Elemente sind nicht selten verblüffend gleich. Striche und Flächen, Menschen und Landschaften sind ähnlich inszeniert. So ist das also mit der Emanzipation und mit der Absicht mit den eigenen Bildern aus dem Schatten des Vaters herauszutreten. Ich entdecke fast überall die Bildsprache des Lehrers. Selbst wenn es nur darum geht zwei Scheiben Katenschinken mit einem Kartoffel-Spargel Gericht zu fotografieren, oder in Blumen-Arrangements die Schönheit zu suchen und zu finden. Mein Vater war zwar nicht die Generation: „Offene Blende durchknüppeln bis der Arzt kommt!“, aber er hat mir Farbe und Formen vermittelt, die in meinen Auslösefinger geflossen sind – ob ich will oder nicht. Dies heute zu entdecken macht mich dankbar und froh, vor zwanzig oder dreißig Jahren hätte es mich wahnsinnig gemacht und ich hätte es zu ändern versucht.

 

Was also bleibt, sind die Bilder meines Vaters – so oder so!

 

12. Mai 2021




Sonntag, 28. März 2021

Wettervorhersage

Erst Gabi Kerner, dann Joachim Kati Witt. Die Ungeschlechtlichen, die ehemaligen Idolilien befreundeter Menschen zu Teenager-Zeiten. Die Braumeisterinnen der Diktaturvorhersage.

 

Sie haben Regen vorausgesagt für das gesamte Wochenende im kompletten Alstertal und darüber hinaus. Mein Handy, stets verbunden mit der Bundesregierung, hat es gesagt. 99 Regenprozent schon auf dem Weg am Horizont zu mir. Wenn ich aber mit Jogginganzug und Morgenmüll hinaustrete, nur ein Meer von Saharasand, staubtrocken wie der Barbarakuchen von Oma Martha. Die Kondensmilch im Schonkaffee war auch nicht grade flüssig. Ebenso nicht, wie der Sächsisch Anhaltinische Dialekt meiner Grundfamilie. Der wird einem im Westen schon reichlich ausgetrieben. Die Zeh und Aaah Plakate von Clemens und August, ein holländischer Baumwollvertrieb für Nietenhosen mit Schlagrahm, zeugten von Popkultur. In Wahrheit eine Erfindung von einem Straussenlevi’s aus dem oberfränkischen Landkreis Bamberg.

 

Sie sehnen sich alle danach einen Grund zu finden, dass sie sich von vorne bis hinten an die Kindertage ohne Rechte erinnern dürfen. Sie lieben es den Lockdown mit versagenden Wetter Apps zu vergleichen. Der Wunsch nach volldreisten Jugendlippen, an denen Regentropfen pornös in Gegenwart von rotem Heringssalat, die nie so gesehenen Körper herabrinnen. Diktatorisch gefesselt. Das Spiel mit der Märklin Eisenbahn ist nur bis zur Landesgrenze erlaubt. Märklin – der Name dürfte kein Zufall sein, klingt er doch verdächtig nach gedanklichen Sonderzügen der obersten Maskenverordnungsgremien. Die Herbergsmutter aus Berlin kommentiert: Hey hey - Tri-tra-trullala – Gehmutter ah! Ah! Oh oh jucheissassa.

 

Bleiben Sie gesund!

 

28. März 2021