Samstag, 24. Dezember 2022

Holy Christmas Shit

Meine Matratze heißt „Himmlische Wolke – klassik mittel!“ Ich komme aus einer Zeit, wo man Pullover noch Pullover nannte und sie nicht besonders engmaschig betrachtete. Dank meiner neuen Matratze, kann ich wieder von früher träumen, ohne in Pyramiden zu stürzen, die damals auf Schultoiletten verteilt wurden - um bessere Laune zu bekommen.

 

Wir waren kreativ zu Weihnachten. In den kleinen Forscherheftchen für Nerds, die damals einfach noch „Sonderlinge“ hießen, gab es Bausätze für ein eigenes Herrenparfüm. Zudem besaß ich dank meines Vaters einen alten braunen Feldhandball aus Leder und mit Schweineblase. Der war nie ganz rund zu kriegen. Mit entsprechend selbst designten Duft und diesem Ball unter dem Arm, stapfte ich durch den nicht vorhandenen Schnee. Von den Balkonen winkten mir meine Vorstadt-Freundinnen zu - auf Partys mit schrecklicher Discomucke. Sie wollten, dass ich zu ihnen komme und knallbunte Getränke in Trockeneisnebel zu mir nehme. Ich verzichtete dankend darauf und sorgte bei der einen oder anderen von mir trotz allem verzückten Person für tiefe, feuchte Traurigkeit. 

 

Lieber spazierte ich durch die Baumschulen und beobachtete die letzten Idiotenfamilien, die sich Material zum Christfest aufluden. Vater und ich klauten einmal eine „Oh Tanne“ aus dem Klövensteen, einem Trim Trab - Wald mit wunderschönen Wildschweinen im Gehege. Mein Vater nutzte damals dafür einen beigen Opel Rekord, ein sehr verschlagenes Fahrzeug für filmische Sekundärliteratur dieser Zeit. Ein Auto welches gerne von Dieben genommen wurde, auch in der medialen Darstellung und mit einer Münze gestartet werden konnte. Folgerichtig wurde unser Wagen dann auch später gestohlen.

 

Manchmal hatte ich auch meinen Hund dabei – einen Hirtenpudel, der Unmengen von Dauerregen aufnehmen konnte und dann wie ein Badewannen–Karpfen roch. Wir spazierten an verrosteten Güllekanonen vorbei, trafen auf verwitterte Sitzbänke in der Nähe des Bauern nebst Baumschulen-Dynastien. Dort machte ich Fotos, zunächst mit der alten Rolleicord meines Vaters, später mit meiner Dacora und zuletzt mit meiner ersten eigenen Pentax.

 

Ich erinnere mich an keinen Weihnachtsmarkt-Boom. Nur an Bilder, an Details und recht wenig Holy Christmas Shit. Ich entsinne mich an Babys, welche durch die Hüte auf den Hutabladen der Automobile grinsten. Ich erinnre mich an sexy Menschen, die am Heiligabend vor dem einzigen Restaurant des Ortes tanzten, welches Rumpsteak auf der Karte hatte.

 

Es war alles vergleichsweise dezent. Keine Lautsprecher, die einen mit Glocken beschallten, keine in Leuchtketten eingewickelten Reihenhäuser. Keine Rentiere in den Vorgärten mit Kunstschnee, die Gedichte aufsagen mussten. Man debattierte über den krummen Rücken des armen Kohlenmannes, der mit dem Kadett immer aus den Vierlanden vorfuhr. Aber das war ja der Apfelmann!? Im Kartoffelkeller lagen vom Hund angekaute Zootiere aus Plastik.

 

Mutters Essen war aber nie eine Enttäuschung, sondern immer eine Vollerfüllung auf einem gediegenen roten Kacheltisch mit falsch eingeschraubten verzierten Holzbeinen. Der Vater ging Cognac schwenkend über den Perser und telefonierte mit seinen Cousins, dass FeTAp 611 Wählscheibentelefon auf dem Schoß, was alle üblicherweise „graue Maus“ nannten. Ein Cousin besaß einen Fernmeldeanschluss in der DDR. Was dieser zu berichten hatte, war immer die wichtigste Information zum Einläuten des Heiligen Abend.

 

24. Dezember 2022

Sonntag, 17. April 2022

Die Kunst Ostern zu sein

 

Ostern ist Kunst – also verstehen die Menschen Ostern nicht. Ostern will nicht verstanden werden. Ostern macht einen digitalen Malkurs über „Queens and Kings“. Es werden Eierakte gezeichnet. Gepellte und tätowierte Eier. Ostern lebt in Beverly Hills in einem unauffällig kleinen Haus mit Erdbeeren und blühenden Artischocken im süßen kleinen Garten. Es hört dort vor allem langbeinige Cellomusik, die genau genommen auch etwas langweilig ist. Aber Ostern hat Interesse an Bildung und Lebensstil. Manchmal geht es mit Kim Kardashian zu einer „Selbsthilfe- Theater-Gruppe“, welche von keinem geringeren als Gott geleitet wird. Dort spricht es über die Tragödien der früheren Familienmitglieder, zum Teil von Ludwig Hirsch vertont: „ Es kochen die Flüsse, es verdampfen die Meere,
Oben am Himmel der kleine Bär, schläft auch nicht mehr.
Ja, unsere Kleinen, unsere Kleinen haben uns den Krieg erklärt,
Haben Dir, Mutter, mir, Vater, den Krieg erklärt,
Weil im Raum Waldburg, an der Grenze,
Hat dieser gottverdammte Panzer
Diesen Osterhasen überrollt.“

 

Und Ostern weint, weil man ja dieser Tage dieses Wort Krieg nicht einfach so in den Mund nehmen darf, ohne nachzudenken.

 

Ostern will Kunst und bunte Farben. Eine Zeit der Hoffnung und lachende Kinderaugen.

 

Ostern wünscht frohe Ostern.

 

17. April 2022

Freitag, 1. April 2022

Q1

Q1

 

Mich begeistert der Blick durch angetrocknete Regentränen am Fensterglas, wenn der Nachbarin der Hut davonfliegt und sich von der Enge ihrer Gedankenfehler befreit. Das bunte Gewand bewegt sich im Wind und erfindet Farben echter Freiheit. Und ich denke bei einer Mischung aus Marzipankartoffeln und Tee, dass ich mich eigentlich nicht unfreier fühle, als zuvor.

 

Soweit irgendwas wie kühles Nass die Kehle herabrinnt, beginnt der Kopf wieder zu arbeiten, sich wohl zu fühlen in einem Bett aus Watte, Zucker und Salz. Das Leben ist kein Ponyferiencamp mit Golfanlage in der man unbekannte Medienbekannte sich ohrfeigen sieht.

 

Vielleicht sind aber Worte wie „Quarantäne“, „Isolation“ und „Freitesten“ zu sehr mit anderen Dingen verbunden. Gedanklich mit Pest, Cholera, Aussatz und Absatz. Aber vielleicht haben viele Menschen viel zu viele Begriffe zusammengeworfen, in einen Zementmixer getan und sich die perfideste Assoziation herausgesucht. Vorschrift und Regel z.B. ist nicht das gleiche. Wenn man aber verstanden hat, dass eine Vorschrift schon immer galt, dann war das eine Regel und so geregelt. Dumm ist halt, dass sehr einfach erklärbare Dinge sich hinter kompliziert und wenig sexy formulierten Paragraphen verstecken. 

 

Sehr wichtig auch nach wie vor: Gesetze sind dazu da um gebrochen zu werden. Wohl wahr! Deswegen verändern sich Gesetze ja auch immer wieder. Deswegen ist es ja sehr wichtig im Kopf frei zu sein und nicht zu beschließen, gegen alles zu sein, was viele Menschen schützen will und soll. Wenn mein innerer Schweinehund nur dazu da ist, dass Menschen neben mit immer Kränker werden, dann ist das schon sehr klug sich so zu verhalten, dass dies nicht geschieht.

 

Man sollte viel Wasser trinken, weil es dem Haushalt guttut. Und man darf auch gerne lesen, was kluge Leute vor schon sehr vergangener Zeit aufgeschrieben haben. Solltet ihr mal in diese sog, Quarantäne geraten, dann nutzt die Zeit und sagt nicht nach jedem Toilettengang: „Das ist ja Stuhl!“, denn der Gag ist totgeritten wie Serbisches Reisfleisch.

 

1. April 2022

 

Donnerstag, 24. Februar 2022

Grenzüberschreitung

Die Generationen vor mir sind alle nicht mehr da. Sie haben Kriege überlebt, was wohl mehr oder minder Zufall und Glück war. Die Wahrscheinlichkeit war nicht besonders groß. Sie hatten aber Zeit (Oma, Opa, Vater, Mutter) mir alles zu berichten und letztlich immer hoch zu halten, was sie beim alt werden erleben durften: Friedenszeiten. Bald werden alle Augenzeugen dieser Weltbrände nicht mehr da sein. Alles ist dann nur noch aus zweiter, dritter, vierter Hand und in ewig abgenudelten verschieden guten, verschieden Sensationen heischenden Dokus zu sehen.

 

Wer heute Parallelen sieht zu 1939 und auch die Herkunft, die emotionale Herkunft von dem anspricht, wird politisch für dumm erklärt. Wer sagt, dass der Unterschied zwischen mittelbarer und unmittelbarer Gefahr immer kleiner wird, der wird belächelt. Hingegen ist es üblich geworden schwarz auf weiß sich die Blöße zu geben und zu schreiben: Ich habe alles vorhergesehen! 

 

Keiner aber hat diese Menschen je sprechen gehört, höchstens im Volkstenor, dass dieser Putin verrückt sei. Ja natürlich, er ist verrückt. Er hat nicht verstanden, dass eine bestimmte Grenzüberschreitung und Wortwahl und Drohgebärde immer in der Geschichte in einer Katastrophe enden musste. Auch für den Kriegsverbrecher selbst, auch und grade für sein eigenes Volk. Die Vernünftigen und Besonnenen, wenn man sie am Leben lässt, haben immer die besseren Chancen nach einem Brand neues aus vollkommen überflüssig erzeugter Kriegsasche zu machen.

 

Es herrscht nichts anderes als Krieg und er betrifft uns alle und wird auf unser aller Leben Auswirkungen haben, wird sich massiv wegen Kapitalverbrechern, maßlosen Oligarchen und ihrem Staatslügner und Brecher von internationalen Vereinbarungen auf das auswirken, was wir Freiheit, Frieden und Demokratie nennen.

 

Es sterben heute, morgen, übermorgen Menschen in unserer unmittelbaren und nicht mittelbaren Nachbarschaft. Wir haben immer so gelebt, damit es nicht soweit kommt: Frieden und Freiheit und Gemeinschaft gefordert, naiv und wissend, akademisch und mütterlich.

 

Es lebe für immer und alle Zeiten der absolute Ruf nach Frieden und Freiheit, jetzt mehr denn je. Und dieser Wunsch beinhaltet nicht das Kleinkind-Gejaule von „Spaziergängern“ und anderen falsch abgebogenen. Er richtet sich gegen jede Art der stumpfen Keule und jedes Vergeltungs-Geschrei. 

 

Nur der absolute tief verwurzelte Wunsch nach Frieden und Freiheit und der Wille zur Gemeinschaft kann irgendwann einmal Frieden und Freiheit bringen. Man muss immer wieder neu damit anfangen. Anders erreicht man nie, dass irgendwann kein Mensch mehr auf die Putins dieser Welt hört.

 

24. Februar 2022