Ich
weiß nicht, ob man hinter diesen Satz ein Ausrufezeichen setzen sollte, ich
habe es getan, weil ich gegen Ausreden bin: Meine Kamera war zu laut. Das Model
hat was Falsches gegessen. Die Polizei war hinter mir her. Diese sog. Umstände
verhindern das Stehen zum eigenen Bild.
Die
Portraits der Welt sind nun einmal Selbstportraits des Fotografen,
psychologische Expertisen der Seele, Gedichte und Naivitäten neben den
Realitäten der Nachrichtenagenturen.
Bilder
entstehen aus Neugier. Ich bin neugierig, weil ich schreibe, mit Menschen rede,
gerne verfolge wie ein Schicksal zum Lebensinhalt wird und ein Stück Stein zur
Geschichte. Ich gucke dahinter und darunter, interessiere mich entweder für das
Bild oder die Menschen.
Gibt
es dann also einen Unterschied zwischen Knipsen und Fotografieren? Es gibt kein
Knipsen. Das ist die Wahrheit. Es gibt nur dass Bilder machen ohne Plan und ein
fotografisches Erleben mit Plan. Bilder ohne Plan zeigen von dem Fotografen
Seiten, die man nicht sehen möchte. Sie zeigen den noch fehlenden Respekt vor
dem Objekt. Seelenloses Ablichten mit gesellschaftlich erhöhtem Titel. Da
steckt kein Mühen dahinter, sondern der Drang nach einer schnellen Lösung.
Fotos
machen braucht deswegen Zeit, weil es ein vor und danach gibt, unabhängig davon
ob es im entscheidenden Augenblick ganz schnell gehen muss.
Wenn
ich durch Hamburgs Stadtteile wandle, erlebe ich ihre Geschichte neu und sehe
erst dann die Motivgesichter dieser Teile. Atmet dieser Teil grade heftig oder
will er seine Ruhe vor mir haben? Je länger ich spazieren gehe, desto stiller
wird es dann. Und nach zwei oder drei Stunden oder später gelingen dann die
Bilder. Entstandene Bilder.
Als
ich den Schauspieler und Oberstaatsanwalt a.D. Dietrich Kuhlbrodt treffe, nehme
ich bei Gespräch und Keks die Kamera raus und erfahre alles, was ich sehen
will. Viele Fotos sind dafür nicht nötig. Im Garten dann ergreift er den
Himmel, die Verbindung zwischen seiner und meiner Geschichte. Ich habe in
diesem Moment die kleine Fuji im Anschlag. Besser hätte es nicht laufen können.
Niederlagen
sind aber lehrreicher. Der ganze mitgebrachte Schwung an Fehlbelichtungen,
geplatzte Verabredungen, dass nicht vordringen können in die Selbstverliebtheit
der zu Fotografierenden. Displaygucker, die sagen: Das sieht aber blöd aus.
Damen und auch Herren, die in die Kamera schauen und auf Anweisungen warten,
die es gar nicht gibt. Geschichtenerzähler, welche die Kamera meiden.
Deswegen
behalte ich stets den ganzen heimgebrachten Balast der Speicherkarten und
Negative. Nur die Gesamtfuhre gibt Auskunft über das Ganze, wie bei Winogrand
oder dem einen oder anderen Fotofreund, dem ich begegnete.
Was
machst du mit den ganzen Bildern? So die Frage der Leute.
Ich
antworte, dass ich sie zu einer großen Collage im Kopf zusammensetze, weil ich
nicht anders kann.
Gibt
es mittlerweile deine Fotos deines Lebens? So keine Frage der Leute.
Ich
antworte, dass es die mittlerweile gibt, aber dass dies eigentlich nichts zur
Sache macht. Denn Fotos machen steht mir. Man wird angesprochen, ob man nicht
der Fotograf sei, der dort damals dieses Bild gemacht hat, der in seiner Art
das Regionalfernsehen ersetzt. So etwas freut einen natürlich in einer Zeit der
Selfies und Outings.
Oft
sagen mir über Fotografie die Nichtfotografen mehr als die Fotografen. Das ist
ein erstaunlicher und auch böser Effekt.
Ich
habe Bilder gemacht, die Assistenz darstellen, zwischen Behinderten und deren
Assistenten. Man muss in sich schauen, um zu verstehen was da vor sich geht.
Man muss begreifen, dass wenn die rechte Hand zum Greifen fehlt, diese dringend
und immer und immer wieder ersetzt werden muss und der linke Fuß ebenfalls.
Diese geflügelten Worte von Händen und Füßen zeigen mir wieder, dass sich die
gemachten Bilder im Kopf sammeln, also in der Mitte.
Immer
wieder werde ich zum Bildschnitt gefragt. Was ist ein guter Schnitt und was ein
Schlechter? Erst einmal sollte man das Wesentliche sehen können und das
Unwesentliche nicht. Schaut man auf das Gros der Handybilder bei Facebook und
anderswo, dann bekommt man meistens flache und einfache Informationen. Also
Zweck erfüllende und frontale.
Man
stelle sich vor, man sitzt auf einer Bank im Park. Menschen gehen vorbei. Große
und Kleine, Schnelle und Träge. Man sieht diese Menschen nie frontal von vorne,
immer leicht von der Seite, immer eher abgewendet und immer eingebettet in
ihrer Umgebung mit Weg und Park und anderen Menschen. Ebenso in der Bahn hinaus
aufs Gleis und gleichzeitig in den Innenraum schauend. Alles nicht direkt,
alles nicht Frontal. Alles hinter einem, flüchtig, nur zufällig präsent, gleich
bleibend ruhig erzählend wie ein altes Röhrenradio. Gleichzeitig schrill und
laut und knackig, wie die Nachrichtenlage im Smartphone. So wie man sitzt und
so wie man sieht und wahrnimmt, so fotografiert man. Der Blick wandert
vielleicht etwas nach rechts, ein störendes Element wandert vielleicht aus dem
Bild. Man senkt vielleicht kurz den Blick um weniger Himmel drauf zu haben.
Aber das ist schon die Grundlage für einen gelungenen Schnitt. Und wenn die
Elemente die eigene Wahrnehmung verwirren, dann war zu viel zu sehen, zu viel
Informationen. Weniger ist mehr. Mehr ist die eine Botschaft, mehr ist ein Bild
was erzählt und nicht doziert.
Die
Belichtungszeit löst keine Geschichte auf.
4.
August 2014