Samstag, 23. Dezember 2023

Frohes Alles …!

Als mein Gegenüber, ein Herr in den …zigern seine Weihnachtsmütze lüftet, stellt sich mir zunächst die Frage: Was war zuerst: der Mensch oder das Ei!? Ein Meer an Stadtlichtern mit ähnlichen Formen, leuchtet vielfarbig durch das Fenster des kleinen Cafés. Trotz unverschämt un-origineller Weihnachtsmusik, die sich zwischen Stirn und Hinterkopf wie Sandpapier schmiergelt (Feliz Navidad), kann ich das Rauschen der Stadt durch die Glasscheibe hören. Ich höre sorgenvolles Murmeln und das Blut in den Adern der Menschen, wie es gegen die Kälte arbeitet und gegen die Dummheit.

 

Dummheit, etwas was der Mensch wie seine eigene Westentasche kennt. Sie wurde einem mit der Einschulung, samt großer Zucker- und Lebensweisheiten-Tüte offeriert. Ein Paar liegt sich bei Zimt, Kakao und Tee im letzten Winkel des kleinen Aufwärmladens in den Armen. Zwei warme Gesichter liegen aufeinander. Man riecht sich. Die beiden kuscheln gegen Intoleranz, Phobien und Krieg. Draußen vor der Tür wandern gewaltige Geschenkpakete gegen das schlechte Gewissen. Man wünscht sich frohe Festtage, geht dann weiter. So mancher dreht sich um und wirft noch einen bösen Blick seiner letzten Begegnung hinterher.

 

Der Herr an meinem Tisch hat einen Haarkranz. Auf seiner Glatze ist ein Schlitten tätowiert, der eine rote S-Bahn hinter sich herzieht. Auf dem Schlitten sitzt Klaus, der Gesandte. Als ich ein wenig dreist auf seine Tätowierung schaue und beginne, den Herrn anzustarren, sagt dieser zu mir: „Ja – ich bin´s!“ Der Entlarvte erschrickt kurz und ich entschuldige mich sofort, dass ich einen Blick für sowas habe. Klaus erzählt mir, als wir dann ins nicht philosophische Plaudern geraten, dass er das ganze Jahr über bei der „Deutschen Bahn“ als Eierkopf angestellt sei. Dies hätte sich als Lösung angeboten, wenn man so eine doofe Saisontätigkeit ausüben muss und dies quasi per familiärer Verpflichtung.

 

Wir kommen fröhlich ins quatschen, werden sehr laut und ich komme meiner natürlichen Gier nach, wenn ich mal die Möglichkeit habe, die Geheimnisse eines Promis zu erfahren, insbesondere wenn dieser zu dieser Zeit im Jahr, dass wichtigste Ei der christlichen Welt der Albernheiten und des maßlosen Konsums darstellt. Wir werden dabei wirklich ungezügelt laut, denn wir trinken einen Schuss mit … nach dem anderen. Alle hören uns in diesem Raum. Der Wirt ermahnt uns. Da wir beide jedoch recht scheue Gestalten im zivilen Leben sind, sagen wir artig: sorry Bro!

Das Mädchen aus der Kuschelecke des Paares, steht auf einmal auf und schreitet schwer entgeistert in unsere Richtung. Vor Klaus bleibt sie dann aufrecht und grade stehen. Sie hat alles gehört. Alles das, was der Eierkopf freiwillig ausgeplaudert hat. Viel zu viele Details aus seinem komischen Leben, welche er befreit einem ganzen Lokal mitteilte. Und man sieht dem Gesicht der jungen Frau an, dass sie keine Zweifel hat, als sie zu Klaus spricht: „Klaus, ich bin Deine Tochter!“

 

„Auch das noch!“, ruft Klaus verzweifelt aus und er betrinkt sich weiter und zügiger. Doch ich frage mich in diesem Moment: Wer ist schlimmer dran? Der Tunichgut, der sein Leben lang als verdeckter Arbeiter, seiner Familientradition nachkommen musste? Oder der junge Mensch, der auf einmal erfahren muss, dass der leibliche Vater der Weihnachtsmann ist?

 

Frohes Alles …!

 

23. Dezember 2023