Donnerstag, 19. Dezember 2019

Als plötzlich Weihnachten war

Vom Jahr in die Couch gedrückt, kommen mir Begriffe wie Schlupflider in den Sinn. Übers Jahr gesungen, über leicht angefeuchtete, schwach angespitzte Lippenzentren zum Ausdruck gebracht. 

Also die Lieder! Geschmettert auf der Straße, aus dem Gebälk des knarrenden Kopfes. Schlupf – Lieder! Lieder am Schlump an der U-Bahn Umsteige - Glasfront gesungen. Aus dem Fahrstuhl Wegeminuten in Form von Einkaufswagen und Sitzkissen gezogen. Immer wieder total busy an den Lichtern der Stadt vorbeigelaufen und ins Hafenbecken gefallen. Ständig diskutiert über das eine oder andere Vorgehen. Menschenmasken wie Schattenverläufe in Gesprächsrunden. 

„Mein Name ist anundfürsich Paul und ich bin eigentlich seit gestern im Team, habe aber noch nie gearbeitet.“

„Ich heiß Billy Beate – ich war bei den drei ??? dass nicht vorhandene Komma. Meine Mutter war Fischer – ein ausgestorbener Beruf – wie z.B. auch Aktivist oder Drucker. Wir haben in der Familie noch mit Druckerschwärze an den Händen geangelt. Das waren noch Zeiten!“

„Digga – Dein Ernst!? Du machst keine Privatchats mit Deinem Smartphone bei Dienstbesprechungen? Wie bist Du denn drauf!? Nicht teamfähig oder was!?“

Es gibt Leute, die hat man schon vergessen, bevor man sie kennengelernt hat, weil sie keinen Schatten werfen können. Es ist total respektlos den Leuten gegenüber, aber was will man machen!? Sie haben sich zum Geistsein entschieden um in z.B. meinem Leben vorzukommen. Ich kann da nichts dafür. Ich habe das nicht gewollt. Also ich bitte Sie/Dich/Euch/Es!!! 

Sie führen mit ihren Nächsten, die sie grad auf der Autobahn des Lebens kennengelernt haben, eine intensive Beziehung. 22 Stunden pro Tag Austausch bei Whatsapp und dann gemeinsam trinken gehen in ein Lokal, wo einem Fleisch im Tisch gegrillt wird. Die Angestellten werden exakt der Tischmode entsprechend diskriminierend und ohne Vertrag eingestellt. Man geht mit seinem Bekannten überall hin. Ins Kino, in die Kinowerbung, ja man macht sogar Urlaub zusammen. Die ganze Beziehung inklusiver sexueller Andeutung auf dafür erlaubten Zonen, dauert ca. sechs Wochen, wenn es hochkommt. Anschließend trennt man sich einvernehmlich ohne Grund und hört und sieht nie wieder was voneinander. Soll ein neuer Trend sein, habe ich gehört. Das ist so, wenn nur noch die Verwicklungen toter Verwandter Gesprächsthema sind, weil man ja über sich selbst nicht mehr spricht.

Inzwischen ist mir klar geworden, dass junge Leute in den Social Networks, in die ich mich mühsam hinein integriert habe, gar kein Interesse mehr haben. Die meisten dreiundzwanzig Jährigen mit abgeschlossener Ausbildung ziehen eine spartanisch eingerichtete Wohnung vor. Altbauküchen mit Holz und mit Emaille an der Wand, auf der eine rundliche Oma mit Kochlöffel einen flotten politisch nicht korrekten Spruch aus der Kaiserzeit von sich gibt als Lebensmotto, werden aber wiederkommen. Allerdings nicht für dreiundzwanzig Jährige, die sind dann schon zu alt und diesem Trend entwachsen.

Es gibt mittlerweile in Ausfluglokalen Essen, von dem man vor fünf Jahren noch nie etwas gehört hat.

Das Jahre immer schneller vergehen, ist eine recht simple Feststellung, die sich aber dermaßen unmittelbar bewahrheitet, dass man es bei heißer Wahrnehmung seines Leibes ständig spürt.

Zu Weihnachten kann ich nur sagen, dass ich so gar keine Zeit hatte, mich auch nur ansatzweise auf sein Kommen einzustellen und obwohl heute erst der 19.12. ist, ist es quasi schon so vorbei wie da. Irgendwie sitzt man in so einer Maschine aus Epochen, die in ein kleines Jahr gesteckt wurden. War gestern noch alles in Ordnung, so ist heute schon morgen und heute alles in Unordnung, und man sollte wissen, dass übermorgen schon wieder alles anders ist.

Dazu passt, dass ich mich Weihnachten diesmal für Fisch entschieden habe. Oder? Man kann das natürlich morgen auch alles ganz anders finden.

Unglaublich, danach beginnen die 20er Jahre. Also Charleston, Kleider wie Negligees und Filme mit W.C Fields. Wir werden in die End-Ära des Stummfilms eintauchen. Beim Fußball wird die Rückpassregel wieder abgeschafft werden, weil es so schön aussieht, wenn der Verteidiger noch während des Spiels seine Torwartfrau einschießt.
  
Als plötzlich Weihnachten war, begann die Zukunft der Vergangenheit.

19. Dezember 2019