„Du,
wir müssen stets unsere eingefahren Weltbilder überprüfen, Matthias!“, sagt mir
Carola. Sie wird bald achtzehn und übt schon mal für ein Leben als Erwachsene
außerhalb des Kollektivs. Wir haben uns für Grünkohl entschieden. Natürlich
Berge vom Markt, möglichst noch mit Frostspuren, welche nicht von der seelischen
Kälte der Marktfrau stammen. Ich hab mal gesehen, wie in einer Kommune
gewaltige Mengen an Dosenkohl den Keller verstellten. Das hat mich echt
schockiert, du. Und dann diese schlechten roten Wurstfotos auf den Etiketten,
die an maltesische Kinderarme erinnern. Ekelhaft! Ausgesprochen ungut!
Gewissenlos!
Wer
erinnert sich nicht an den mulschigen Geschmack von Dosenpilzen, die in der
Dose unten vergessen wurden und die, je mehr man sie zerkleinert, immer mehr
nach Weißblech schmecken!? Das war die Gulaschzeit. Alle hatten die Schnauze
voll von Reis mit Scheiß. Anschließend dann kam die Phase mit frischen Pilzen
an Dosengulasch.
Carola:
„Wie pervers ist das denn!?“
„Fräulein,
räum mal erst mal dein Zimmer weihnachtsgerecht auf!“
Das
war Carolas Mutter, eine energische Weißhaarige von der Schwäbischen Alb, die
wo schon früh alternativ geworden ist. Aber: „Ordnung ist das halbe Leben. Ohne
Männr gohd alles besser!“ Sie heißt Beate.
Warum,
frage ich mich, enden alle Weihnachtsgespräche über Essen immer bei
Dosenravioli? Wohl weil dieser Geschmack am trefflichsten in unseren
Befreiungsknospen etikettiert ist, meint Hans, der neue christliche Freund der
unglücklichen Maike.
Ein
politisch korrekter Baum für die genossenschaftliche Gemeinschaftsbude musste
dann halt noch her. Wir haben uns dann doch für eine mit frauengerecht
erotischen Symbolen versehene Ginsengwurzel entschieden.
„Fräuloi,
dai Danga guggd raus. Dafür hon i di ned im Sinne vom Kollekdivs erzoga.“ Beate
ist noch etwas ungehalten über ihre Tochter Carola, die sich halt noch
entwickeln muss, näch. Irgendwie!
Brigitte
ist der Meinung, sie stamme aus Kenia. Das hätte sie in einem Roman gelesen. Es
ist zwar wissenschaftlich belegt, dass niemand der Brigitte heißt, aus Kenia
stammt, aber Brigitte fährt da einen anderen Film und formuliert das so, in dem
sie sagt: „Ich habe da einen anderen Ansatz!“
Maike
und Hans setzen ein neues Kind an, weil das erste sehr kartoffelartig geratene
vom Erstvater nach Ostdeutschland wegadoptiert wurde. Das macht betroffen,
zumal das Kinderzimmer immer noch steht, als wäre es von einem frischen
Kindergeruch ausgefüllt. Dieser neue Ansatz wird als christlicher Gedanke
allgemein ganz gut angenommen.
Frohes
Fest!
24.
Dezember 2014