Fotografischer
Jahresrückblick 2014
Eines
Morgens wachte der Fotograf MVS mit Steinen in Kopf und Herzen auf. Dort wo
Stein war, war vorher ein Bild, welches er einfach nicht losgeworden war. Auf
dem Bild war ein Fischmensch, welcher sich durch die Stadt aalte. Der Fisch
trug eine Laute und war augenscheinlich ein Musikant. Seine Stimme war hell und
klar und so hoch und rein, wie die Stimme eines Kindes.
Der
Fotograf packte seinen Rucksack mit Schmierkäse und Brot und seiner Kamera. Auf
dem Weg in die Ecken der Stadt, begegneten ihn Menschen. Feine in
Wellingsbüttel und Ohlsdorf, schnittige in Bergedorf und Wassermenschen ganz im
Süden an Deich und Elbe. Er machte Bilder von Hügeln. Er fotografierte Graden
und entdeckte Kurven in Fischform. Er sah Menschen die Bibel lesen. Diese
entpuppte sich als ein Kindl und das Kindl entpuppte sich als ein Smartphone.
Er
sprach Menschen an und sagte: Hallo!
Und
er bekam zur Antwort: Läuft bei Dir!
Die
Senfautomaten umsammelten ihn, wenn er Fotos machen wollte.
„Ey
Gegenlicht, Alter!“ Junge Väter mit röstfrischen Kindern im Arm hatten schmale
Hüften und entzückende Strickmützen auf.
Das
ganze Jahr über war alles schon die ganze Zeit weder Winter noch Sommer und
schon gar nicht Herbst. Kein Schnee, keine Schneeglocken, höchstens weiße
Gloschen über den Rationen der Reichen. Und doch überall immer wieder Musik.
Vor allen Dingen leise Musik. Der Rockn Roll in Miniaturform. In den
Cocktailclubs wurde Bier getrunken. Endlich mal wieder, wenn auch viel weniger
als früher.
Die
Vivie Anns und wie sie alle heute heißen trällerten von Dächern wie die
Nachtigallen. In den Betten herrschte Schieblehre. Grafische Genauigkeit neben
dem, was sich Leben nannte, und neben dem was sich Fisch im Kopf schimpfte.
Kein Karpfen, keine Forelle – irgendwas Asiatisches.
„Wir
gehen Sushi!“
„Krass
– ich Fußball!“
Die
Dialoge wurden immer konzentrierter und fragten nicht nach Inhalt.
Manchmal
traf der Fotograf alte Männer und Frauen auf der Straße und die redeten in
ganzen Sätzen mit ihm und er war verwirrt. Sie behaupteten mit ihm früher in
eine Schulklasse gegangen zu sein. Die Lehrer hätten damals in Lumpen gelehrt,
meinten sie. Dafür waren seine alten Freunde mittlerweile auch völlig unnütz
tätowiert und hatten meist junge SexualpartnerInnen mit reichen Eltern.
Sie
fanden mittlerweile Udo Jürgens ganz passabel und hatten in letzter Zeit auch
die alten Joe Cocker Scheiben wieder rausgeholt. Das sollte sich als schlechtes
Omen entpuppen.
Ende
September machte der Fotograf ein Selfie im Francis Rossi im Hard Rock Cafe.
It’s rockin in a different way. Fisch muss Schwimmen.
Die
ganze Elbe war dieses Jahr wie ein Netz und eine Leine, die seine Bilder immer
wieder auffing. Deutschland wurde fast nebenbei Weltmeister. Das Tor zur neuen
Heiterkeit war weit geöffnet.
Wenn
da nicht dieser deutsche Griesgram wäre und dieser Stammtischhass allem Fremden
gegenüber.
Irgendwann
legte sich am Abend der Fischmensch wieder schlafen.
2014
ein Fotojahr wie kein anderes.
30.
Dezember 2014